Was ist Verhaltenstherapie?

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Verhaltenstherapie ist eine Methode, die sich eine der wichtigsten Fähigkeiten des Menschen zunutze macht: das Lernen. Wenn wir seelische Probleme haben, weil wir etwas nicht können (z.B. zielführend mit unserem Lebenspartner reden), dann können wir das meistens lernen. Das gleiche Prinzip gilt natürlich, wenn öfter etwas machen, das uns nicht guttut (z.B. Grübeln): Dann können wir uns das abgewöhnen und für diese Situationen eine sinnvollere Strategie lernen. 

In den Anfangszeiten der Verhaltenstherapie ging es tatsächlich vorrangig um eine Änderung des Verhaltens. Über die Jahrzehnte ist aber immer mehr eine Änderung des Denkens in den Fokus gerückt. Deswegen spricht man heutzutage von der „Kognitiven Verhaltenstherapie“ (KVT) – für alle Wissenshungrigen gibt es weiter unten noch einen Abschnitt zu Geschichte. Die KVT ist mittlerweile eine der am häufigsten angewendeten und wissenschaftlich am besten untersuchten Therapiemethoden. In allen Teilen der Welt arbeiten Millionen von Menschen mit seelischen Schwierigkeiten auf diese Weise daran, ihr Leben einfacher zu machen.

Wie funktioniert Verhaltenstherapie?

Die Verhaltenstherapie hat einen sehr, großen Methodenkoffer. Sie funktioniert also oft ein bisschen unterschiedlich, je nachdem, welche Schwierigkeiten der hilfesuchende Mensch hat und wer ihn behandelt. Mein Ansatz orientiert sich an der Integrative Kognitive Verhaltenstherapie (IKVT), die von H. Stavemann entwickelt wurde. Sie geht davon aus, dass psychische Problem vor allem durch ungünstige Gewohnheiten beim Denken entstehen.

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Die Kraft der Gedanken

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Was heißt das nun genau? Stellen Sie sich zwei Menschen vor, die gerade beruflich auf einer Konferenz sind. Herr A ist in Hambung, Frau B ist in München. Beide sollen dabei vor vielen Menschen eine Rede halten. Herr A hat panische Angst davor, Frau B ist zwar ein bisschen aufgeregt, aber auch voller Vorfreude. Könnte das sein? Klar. Aber woran liegt das? Es wollen doch beide genau das gleiche machen.

Offensichtlich ist nicht die Situation für ihre Gefühle entscheidend, sondern die Gedanken, die sie denken. Der verängstigte Herr A denkt vielleicht: „Oh je, jetzt muss ich das hier machen! Was ist, wenn ich mich verspreche? Bestimmt lachen mich dann alle aus und ich stehe da, wie der letzte Versager. Irgendjemand erzählt das dann bestimmt meinem Chef weiter, wie blöd ich mich angestellt habe! Dann wäre ich so richtig unten durch. Herrjeh, mir ist schon ganz schlecht! Was ist, wenn ich mich auf der Bühne übergebe?“ Und so weiter. Die meisten von uns haben sich schon einmal auf ähnliche Weise verrückt gemacht.

Ganz anders bei der vorfreudigen Frau B. Sie könnte etwas denken wie „Oh, ja! Endlich kann ich der Welt davon erzählen, woran ich schon so lange arbeite. Der Mann da vorne in der ersten Reihe guckt auch sehr freundlich und interessiert. Allen interessierten Leuten will auf jeden Fall einen schönen Vortrag halten, schließlich bin ich auch gut vorbereitet.“ Und so geht es Frau B in der Situation gut und Herr A nicht so, einfach weil sie sich unterschiedliche Gedanken machen.

Herr A kennt das aus seinem Leben wahrscheinlich schon und damit ist er nicht allein. Viele machen es sich schwer, indem sie in bestimmten Situationen ungünstig denken. Natürlich nicht alle die gleichen Gedanken wie Herr A. Was genau in unseren Köpfen vorgeht, hängt in der Regel davon ab, welche Erfahrungen wir gemacht haben, besonders in Kindheit und Jugend. Den Eltern von Herr A könnte es zum Beispiel ganz wichtig gewesen sein, dass ihr Sohn für andere Menschen ein gutes Bild abgibt. Vielleicht haben sie ihn sehr gelobt, wenn ihm das gelungen ist und hart bestraft, wenn nicht. Dadurch könnte sich in Herr A der Gedanke verfestigt haben: „Man muss vor anderen Leuten immer gut dastehen, sonst ist man nicht okay“. Oder seine Schwierigkeiten haben einen anderen Grund – wer weiß? Wenn er möchte, kann er das in einer kognitiven Verhaltenstherapie herausfinden. Denn das ist am Anfang eine der Aufgaben – die Frage zu beantworten, woher das hinderliche Denken kommt.

Die verschiedenen Problemfelder in der Verhaltenstherapie

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Andere Menschen mit anderen Erfahrungen als Herr A werden natürlich mit anderen Gedanken zu kämpfen haben. Die IKVT teilt grob in vier größere Möglichkeiten ein, sich das Leben schwer zu machen:

1. Manche werten sich für bestimmte Dinge sehr stark ab. Wie gesehen macht es Herr A dann, wenn er befürchtet, keinen guten Eindruck zu hinterlassen. Aber es gibt noch viele andere Varianten davon. Manche tun es zum Beispiel, wenn sie eine bestimmte Leistung nicht erbringen oder sie jemand nicht mag oder sie sich nicht gut genug um jemand kümmern oder sie nicht gut genug aussehen. Und so weiter, es gibt hier wirklich die unterschiedlichsten Möglichkeiten. Gedanklich drückt sich das dann oft in inneren Sätzen aus wie „Du musst das perfekt machen“, „Du musst immer freundlich sein“ oder „Du darfst nicht ‚Nein‘ sagen“. Gemeinsam ist ihnen allen, dass sie große emotionale Schmerzen erzeugen können. So denkende Menschen überfordern sich häufig, sind in der Gegenwart anderer Menschen sehr angespannt, hören nicht gut auf die eigenen Bedürfnisse und vieles mehr.

2. Manche Menschen können sich auch ganz schwer zu bestimmten Dingen überwinden. Und das, obwohl es eigentlich wirklich gut wäre, sie zu tun. Typische Beispiele sind die Steuerklärung, größere berufliche Aufgaben und Entscheidungen in allen Bereichen des Lebens (z.B. bei der Partnerwahl). Häufig denken sie Sätze wie „Morgen wird mir das bestimmt leichter fallen“, „Das ist so viel, da brauche ich ja gar nicht anzufangen“ oder „Ich muss die perfekte Entscheidung finden, sonst werde ich es hinterher bereuen“. Auch so kann man sich das Leben ziemlich vermiesen. Denn natürlich wird die Steuererklärung nicht leichter, wenn weniger Zeit für sie ist und sich nicht zu entscheiden, hat meistens auch doofe Konsequenzen.

3. Die dritte Variante betrifft die unter uns, die sich besonders stark oder besonders häufig über das Verhalten anderer oder bestimmte Zustände aufregen. Es fällt ihnen sehr schwer, Sachen zu akzeptieren, die anders sind, als sie sich das vorstellen. Sie denken dann „Was für eine unfassbare Ungerechtigkeit!“, „Wie kann man nur so unerträglich dumm sein?“ oder „Das muss er jetzt aber so machen! Das ist er mir schuldig!“ Die Folgen davon sind einfach zu erahnen. Durch diese Gedanken entsteht viel Ärger. Und natürlich auch alles, was wiederum aus diesem Ärger entsteht. Z.B. körperliche Sachen wie Magenbeschwerden und hoher Blutdruck. Und natürlich werden auch andere Menschen irgendwann verschnupft reagieren, wenn sich jemand ständig aufregt.

4. Die letzte Art von Problemgedanken hört sich ungefähr so an: „Oh Gott, dieses Flugzeug wird bestimmt abstürzen!“, „Ich wasche mir lieber noch einmal die Hände.“, „Was ist, wenn dieser Knubbel hier gefährlich ist?“. Sie führen vergleichsweise selten zu seelischen Problemen, sind aber für die Betroffenen nicht weniger nervenaufreibend. Denn sie fürchten übermäßig stark vor dem Sterben. Und das kostet viel Kraft, weil sie oft über die vermeintlichen Gefahren grübeln oder ausgedehnte Vorsichtsmaßnahmen treffen oder ihren Alltag einschränken oder alles zusammen.

Die Behandlung

Wenn Sie psychotherapeutische Hilfe brauchen, spielen häufig Gedanken aus einem dieser Felder eine entscheidende Rolle. Unsere erste Aufgabe ist natürlich herauszufinden, mit welchen Gedanken wir es zu tun haben. Und dann? Dann schauen wir sie uns genauer an, um herauszufinden, ob sie auch plausibel sind. Ist es z.B. sinnvoll, sich abzuwerten, weil irgendwer Sie nicht leiden kann? Werten Sie auch Ihre Freunde ab, wenn irgendjemand die nicht mag? (Problembereich 1). Wird diese Aufgabe morgen tatsächlich einfacher sein als heute? (Problembereich 2) Wer genau hat einen Nachteil, wenn ich mich jetzt darüber aufrege? (Problembereich 3) Die meisten Unfälle passieren in der eigenen Wohnung. Hier machen Sie sich keine Sorgen, warum dann wegen irgendeiner seltenen Krankheit (Problembereich 4). Und so weiter.

Wenn wir die verschiedenen Gedanken hinterfragt und auseinandergenommen haben, versuchen wir andere Gedanken für Sie zu finden. Solche, die Ihnen nützlicher sind. Auch dafür vier Beispiele: „Wenn jemand mein Handeln doof findet, sagt das nur etwas über dessen Meinung und nichts über mich.“ (Problembereich 1) „Wenn ich einmal angefangen habe, ist die Aufgabe meistens gar nicht so schlimm.“ (Problembereich 2) „Jeder handelt nach seinen eigenen Vorstellung. Bei manchen sind die ganz anders als bei mir. Das will ich akzeptieren.“ (Problembereich 3) „Theoretisch kann alles irgendwie gefährlich sein. Ich möchte das Leben trotzdem genießen.“ (Problembereich 4).

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Und zum Schluss wartet dann der entscheidende Schritt. Denn bloß weil Sie nun die nützlicheren Gedanken kennen, kommen die ja leider in den entscheidenden Situationen nicht automatisch. Wenn Sie sich ihr Leben lang vor Prüfungen Horrorszenarien ausgemalt haben, werden Sie nicht sofort darauf verzichten können, wenn die nächste Prüfung ansteht. Hier fehlt Ihnen einfach Übung. Und genau für die sorgen wir dann gemeinsam. Wir stellen eine Reihe von Übungen auf, die maßgeschneidert für Ihr Problem sind. Einfache für den Anfang und herausfordende, für wenn Ihnen die dann leicht von der Hand gehen.

Unser Herr A zum Beispiel könnte damit beginnen, dass er in ein Wartezimmer geht, um dem „Publikum“ dort laut und deutlich einen guten Morgen zu wünschen. Dabei denkt er vielleicht „Egal, wie die Leute hier meine Stimme finden: Ich bin immer noch der gleiche Mensch wie vor ein paar Sekunden.“ Dieser Gedanke ist natürlich viel weniger nervenaufreibend als sein normales Grübeln darüber, wie er auf andere gewirkt haben könnte. Wenn Herr A fleißig übt, wird es ihm vor Menschenansammlungen also bald besser gehen. Das gleiche Prinzip gilt natürlich auch für Sie, selbst wenn Sie nicht da gleiche Problem haben, wie Herr A.