Wie erkennt man eine Depression?
Viele Menschen haben irgendwann mit Depressionen zu tun – in Deutschland fast jede/r Fünfte einmal im Leben. Doch wie fühlt sich das eigentlich an? Was unterscheidet eine Depression von Traurigkeit und niedergeschlagener Stimmung? Woher weiß man, dass man betroffen ist?
Die Antwort ist nicht ganz so einfach, denn die Depression kann ganz verschiedene Gesichter haben. Das typischste und deutlichste Zeichen für Depression kennen die meisten aber sehr gut. Es ist, wenn niedergeschlagene Stimmung gar nicht mehr weggehen will – auch nicht, wenn etwas Schönes passiert. Die Welt erscheint nur noch grau, die Freude an den Lieblingsbeschäftigungen verschwindet. Es fällt insgesamt sehr schwer, sich zu irgendetwas aufzuraffen, weil alles irgendwie sinnlos erscheint.
Daneben gibt es aber noch einige andere Zeichen, die auf Depression hindeuten können. Viele Menschen plagen Selbstzweifel oder sie geraten in Grübelschleifen. Oft ist auch der Appetit verringert und Betroffene haben Schwierigkeiten, sich zu konzentrieren oder sich Dinge zu merken. Manche Menschen fühlen sich kraftlos und bleiern, haben Bauchschmerzen oder ein Druckgefühl auf der Brust.
Was kann uns in eine Depression führen?
Depressionen sind häufig Zeichen für ein tieferliegendes Problem. Entweder körperlich, wenn im Hirnstoffwechsel etwas durcheinandergeraten ist oder an anderer Stelle eine Erkrankung vorliegt – wenn beispielsweise die Schilddrüse nicht genug arbeitet. Sehr oft ist die Ursache aber auch psychisch, hat also mehr mit unseren Gedanken zu tun. Wie genau die zweite Variante funktioniert, darüber gibt es viele Theorien. Weil sie für viele Klienten sehr einleuchtend und hilfreich ist, benutze ich bei meiner Arbeit das Modell der Integrativen Kognitiven Verhaltenstherapie (IKVT) nach H. Stavemann. Sie beschreibt vier Wege in die Depression.
1. Der hohe Anspruch an uns selbst
Eines der schädlichsten Dinge für unser Glück sind überzogene Ansprüche an uns selbst. Vielleicht kennen Sie die ja auch: Immer cool, beherrscht und erwachsen sein zu wollen. Oder immer gut aussehen zu müssen. Oder den Drang immer Leistung zu bringen bzw. niemals Fehler zu machen. Vielleicht verlange Sie auch von sich, dass es den Menschen um Sie herum immer gut geht. Welcher auch immer es ist, alles diesen Ansprüchen ist eines gemeinsam: Sie können sie nicht erfüllen. Es wäre natürlich schön, aber wirklich niemand kann immer schlau, leistungsfähig oder fürsorglich sein. Und wenn Sie es trotzdem versuchen, ist ein großer Berg Enttäuschung vorprogrammiert.
Ein ähnliches Problem ergibt sich, wenn Sie sich sehr von der Meinung anderer abhängig zu machen. Wenn Sie zum Beispiel darauf hinarbeiten, dass nie jemand böse auf Sie ist. Oder sich in Ihrer Gegenwart unwohl fühlt. Dass andere immer eine hohe Meinung von Ihnen haben und Sie ihnen auf gar keinen Fall zu Last fallen. Auch in diese Ziele kann man sehr viel Gedanken, Zeit und Kraft stecken, ohne sie jemals zu erreichen. Man kann sich richtig erschöpfen. Und all die Energie fehlt Ihnen dann natürlich auch, um ihre anderen Lebensziele zu verfolgen. Ihre Gesundheit zum Beispiel oder eine unbeschwerte Zeit mit Ihren Liebsten. Fehlen Ihnen aber solche wichtigen Sachen im Leben, leben Sie nur noch zwischen Enttäuschung und Erschöpfung, ist die Depression häufig sehr nah.
2. Der hohe Anspruch an die Welt
Ein weiterer Weg ins Stimmungsloch ist es, sehr wütend über die Welt bzw. die Menschen zu werden. Vor allem aus dem Grund, dass sie doof oder ungerecht sind. Wenn Ihnen das bekannt vorkommt, ärgern Sie sich vielleicht öfter, wenn andere sich nicht an die Regeln halten oder nicht nachdenken. Jemand beharrt in einem Gespräch auf einer offensichtlich falschen Position? Das kann dann schon einmal dazu führen, dass Sie nachts im Bett noch Argument wälzen. Jemand drängelt sich auf der Autobahn rücksichtlos an Ihnen vorbei? Sie fluchen laut und kochen vor Wut. Vielleicht fällt es Ihnen auch unglaublich schwer, mit den vielen unfairen Zuständen in unserer Gesellschaft zurecht zu kommen.
Erkennen Sie sich hier wieder, gibt es jedenfalls einiges, das Sie hoch auf die Palme bringt. Möglicherweise sendet Ihnen Ihr Körper auch schon eines der typischen Signale (Magenschmerzen, hohen Blutdruck etc.). Oder Sie schlafen schlecht, weil Sie sich so doll aufgeregt haben. Auch auf diese Weise können Sie Ihre Kraft erschöpfen und den Blick für Ihre anderen Bedürfnisse verlieren. Im Kampf gegen eine Welt voller Leute, die auch morgen noch an vielen Stellen doof oder ungerecht sein werden. Und wenn Sie diesen Kampf zu oft verlieren, kann auch daraus eine Depression entstehen.
3. Der innere Schweinehund
Diese Variante der Depressionsentstehung kennen Sie wahrscheinlich, wenn es Ihnen unangenehme Sachen extrem schwerfallen. Zum Beispiel Entscheidungen zu treffen. Oder längerdauernde Aufgaben anzugehen: Statt langsam abgearbeitet zu werden, wird der Arbeitsberg auf Ihrem Schreibtisch immer größer. Auch bei wichtigen Sachen können Sie sich manchmal kaum zum Anfangen überwinden. Ihnen fallen plötzlich viele gute Gründe dagegen ein. Dass Ihr Energielevel heute nicht so hoch ist, vielleicht. Oder Ihre Küche, die nie so sauber ist wie in der Zeit größerer Projekte. Eine Möglichkeit zum Jobwechsel verschwindet, während Sie noch hin und her überlegen. Sie erledigen wieder in einer hastigen Nachtschicht irgendeine Aufgabe, für die eigentlich ausreichend Zeit war.
Immer wieder ärgern Sie sich deshalb über sich selbst. Immer wieder verfehlen Sie Ziele, die Ihnen eigentlich am Herz liegen. Aber es gelingt Ihnen einfach nicht, das Muster zu durchbrechen. Auch das kann zu Niedergeschlagenheit führen und aus dauernder Niedergeschlagenheit wird die Depression.
4. Die Gefahr, am Leben zu sein
Wenden wir uns jetzt noch einer letzten Möglichkeit zu, wie eine Depression entstehen kann. Sie ist nicht ganz so häufig wie die anderen. Sie kennen diese Möglichkeit vielleicht, wenn Sie seit Tag sehr häufig an einen komischen Leberfleck auf ihrem Arm denken müssen. Oder nach Symptomen an sich suchen, wenn Sie gerade von einer bestimmten Krankheit gehört haben. Oder wenn Sie viel Energie darein investieren, Keime zu vermeiden, zum Beispiel mit Händedesinfektion. Wohlmöglich haben Sie auch große Angst vor dem Fliegen. Oder Sie kontrollieren den Herd am Abend lieber drei Mal, bevor dann nachts ein Feuer ausbricht.
Die meisten Menschen kennen diese Sorgen und diese Seite an sich in irgendeiner Form. Wenn wir aber sehr viel Energie in Gefahrenvermeidung stecken, kommen manchmal die schönen Dinge des Lebens zu kurz. Je größer die Anstrengung, desto weniger Raum bleibt für Freundschaften, Hobbies, freudvolle Erlebnisse. Und selbst wenn Sie sich sehr große Mühe geben, gibt es doch keine Sicherheit vor den Gefahren des Lebens. Irgendeine kleine Wahrscheinlichkeit bleibt immer, dass Sie eher sterben, als Sie eigentlich wollten. Wieder ein hoffnungsloser Kampf, der am Ende sogar in die Depression führen kann.
Wie kann man die Ursachen von Depressionen behandeln?
Einer der ersten Wege sollte auf jeden Fall zum Arzt oder Facharzt (Psychiater) führen. Auch Ihr/e Psychotherapeut/in wird Sie am Anfang hinschicken. Die Begründung habe ich oben schon kurz erwähnt: Depressionen können immer auch körperliche Ursachen haben. Und dann helfen nur Medikamente, entweder direkt für den Hirnstoffwechsel (Antidepressiva) oder gegen die jeweilige Erkrankung (z.B. Schilddrüsenhormone). Wie im letzten Abschnitt beschrieben, liegen die Ursachen von Depressionen aber auch häufig in unseren Gedanken und Einstellungen zum Leben. Dann kommen Medikamente nur unterstützend zum Einsatz und oft auch gar nicht. Die Behandlung erfolgt dann über Psychotherapie.
Zum Beispiel eben über die IKVT, die Sie im Text schon ein bisschen kennen lernen konnten. Sie ist eine Unterform der kognitiven Verhaltenstherapien, deren Wirksamkeit bei Depressionen besonders gut erforscht ist. Wie werden wir nun vorgehen, wenn Sie unter einer Depression leiden und bei mir etwas dagegen tun wollen? Wahrscheinlich werden Sie es sich schon denken können: Zuallererst werden wir nach der Ursache suchen. Worein investieren Sie Ihre Kraft, wenn Ihnen die fehlt? In zu hohe Anforderungen an Sie selbst? Darein, anderen zu gefallen? Darein, andere zu ändern? Was hindert Sie daran, in Ihrem konsequent auf Ihr Glück hinzuarbeiten? Der innere Schweinehund? Endlose Entscheidungsprozesse? Endlose Katastrophenfantasien? Und so weiter. Wahrscheinlich wird Ihr Innenleben dabei nicht haargenau so aussehen wie in den Beispielen oben. Meistens stecken aber Einstellungen und Gedanken aus einem der Bereiche dahinter. Jedenfalls machen wir uns auf gründliche Spurensuche. Solange, bis wir gemeinsame verstanden haben, wo die Gründe für Ihre Niedergeschlagenheit liegen.
Neue Gedanken und Strategien herausarbeiten und üben
Und danach gehen wir die Ursachen an. Je nach Problemfeld kann das ganz unterschiedlich aussehen. Sind Sie besonders hart zu sich selbst, suchen wir nach wohlwollenderen Wegen, sich selbst zu beurteilen. Nach Gründen, sich nicht so sehr von der Meinung anderer abhängig zu machen. Nach Strategien, wie Ihre eigenen Bedürfnisse kommunizieren und wirksam verfolgen können.
Leiden Sie mehr unter dem häufigen Hadern mit Ihrer Umwelt, dann werden wir auf eine Akzeptanz hinarbeiten. Also darauf, Dinge besser hinnehmen können. Besonders natürlich solche, auf die Sie keinen Einfluss haben. Vielleicht ist es aber auch mehr der innere Schweinehund, der Ihnen die Niedergeschlagenheit einbrockt. Dann werden wir mehr in Richtung an Ihren Fähigkeiten zur Selbstüberwindung oder auch der sinnvollen Entscheidungsfindung arbeiten. Oder wir arbeiten an der inneren Einstellung, das Leben zu genießen, obwohl doch scheinbar überall Gefahren lauern. Je nachdem, welcher Punkt Ihnen besondere Schwierigkeiten bereitet.
Haben wir es so geschafft, neue Gedanken und Strategien für Sie herauszuarbeiten, bleibt nur noch ein Schritt: Üben. Denn die Erfahrung hat gezeigt, dass Wissen allein wenig nützt. Sie können die vernünftigen Gedanken sehr genau kennen, ohne dass diese auch auftauchen, wenn es darauf ankommt. Das wäre auch verwunderlich. Schließlich haben Sie sich die alten Muster über Jahre, oft sogar Jahrzehnte hinweg angewöhnt. Hier werden wir erst neue Gewohnheiten etablieren müssen, wenn es Ihnen besser gehen soll.